Pflegegrad bei psychischen Erkrankungen

Isabell Jungesblut

Pflegegrad bei psychischen Erkrankungen

Isabell Jungesblut
Psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen, Angststörungen oder bipolare Störungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Was für andere selbstverständlich scheint – wie das Führen eines Haushalts, die Strukturierung des Alltags oder das Treffen von Entscheidungen – wird für Menschen mit psychischen Erkrankungen oft zu einer Herausforderung. Gefühle von Überforderung, Antriebslosigkeit oder Unsicherheit prägen den Alltag, wodurch selbst einfache Aufgaben schwer zu bewältigen sind. 

In solchen Situationen kann ein Pflegegrad eine bedeutende Unterstützung sein. Er bietet nicht nur die Möglichkeit, den besonderen Unterstützungsbedarf anzuerkennen, sondern schafft auch Entlastung – sowohl finanziell als auch organisatorisch. 

Pflegegrade seit 2017: Bessere Unterstützung bei psychischen Erkrankungen

Früher wurde die Pflegebedürftigkeit in drei Pflegestufen eingeteilt, die insbesondere körperliche Einschränkungen berücksichtigten. Seit 2017 wurden die drei Pflegestufen durch die fünf Pflegegrade ersetzt. Diese Neuerung bietet besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen große Vorteile, da nun auch geistige und seelische Beeinträchtigungen umfassend in die Beurteilung einfließen. Dadurch wird eine individuellere und gerechtere Unterstützung ermöglicht. 

Pflegestufen Pflegegrade
keine erfasste Pflegestufe Pflegegrad 1
Pflegestufe 0 mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 2
Pflegestufe 1 Pflegegrad 2
Pflegestufe 1 mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 3
Pflegestufe 2 Pflegegrad 3
Pflegestufe 2 mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 4
Pflegestufe 3 Pflegegrad 4
Pflegestufe 3 mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 5
Pflegestufe 3 mit Härtefall  Pflegegrad 5

Welcher Pflegegrad bei psychischer Erkrankung 

Ob und welcher Pflegegrad bei einer psychischen Erkrankung anerkannt wird, richtet sich nach der individuellen Lebenssituation der betroffenen Person. Ausschlaggebend ist, wie stark die Erkrankung die Selbstständigkeit einschränkt und den Alltag beeinflusst. Dabei wird bewertet, in welchen Bereichen des täglichen Lebens Unterstützung erforderlich ist und wie umfangreich dieser Bedarf ist.

Bei leichteren psychischen Beeinträchtigungen, die den Alltag zwar erschweren, aber nur begrenzte Unterstützung erfordern, kann je nach Ausprägung ein Pflegegrad 1 oder Pflegegrad 2 bewilligt werden. Bei schwereren psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise einer schweren Depressionen, bei der die Selbstständigkeit deutlich eingeschränkt ist und die Betroffenen umfassende Unterstützung benötigen, kann auch ein Pflegegrad 3 oder Pflegegrad 4 vergeben werden.  

Letztlich wird der Pflegegrad immer auf Basis des tatsächlichen Unterstützungsbedarfs und der individuellen Einschränkungen der betroffenen Person festgelegt, sodass die Einstufung von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen kann.
Die Einstufung in einen Pflegegrad erfolgt durch ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, das darauf abzielt, den individuellen Pflegebedarf der betroffenen Person möglichst genau zu erfassen. Für gesetzlich Versicherte übernimmt der Medizinische Dienst (MD) diese Begutachtung, während bei Privatversicherten Medicproof die Begutachtung übernimmt. 
Der Pflegebedarf wird dabei auf Grundlage der sechs Module des Begutachtungsinstruments ermittelt. Diese Module decken unterschiedliche Bereiche des täglichen Lebens ab, um ein umfassendes Bild der Selbstständigkeit und des Unterstützungsbedarfs zu erhalten. Die Module werden unterschiedlich stark gewichtet. Das bedeutet, dass die Module unterschiedlich stark in die Berechnung des Pflegegrads einfließen und somit den Pflegegrad in unterschiedlichem Maße beeinflussen. 
In jedem der sechs Module werden Punkte vergeben, die den Grad der Einschränkung widerspiegeln. Je höher die Punktzahl, desto größer der Unterstützungsbedarf in diesem Bereich. Die Gesamtpunktzahl aus allen Modulen entscheidet schließlich über die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade. 

Die Module „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“, „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ sowie „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“ sind bei der Einstufung psychischer Erkrankungen besonders wichtig. 

Die fünf Pflegegrade im Überblick: Welcher Grad passt zum individuellen Bedarf?

Die fünf Pflegegrade erfassen unterschiedliche Ausmaße von Beeinträchtigungen – von leichten Einschränkungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten bis hin zu schwersten Beeinträchtigungen, die eine besonders intensive pflegerische Versorgung notwendig machen.

Pflegegrad 1 wird vergeben, wenn eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit  vorliegt, und im Gutachten eine Punktzahl zwischen 12,5 und 27 erreicht wird. Ab 27 bis unter 47,5 Punkten erhält die Person einen Pflegegrad 2, der eine erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit kennzeichnet. Pflegegrad 3 wird vergeben, wenn die Einschränkungen als schwerwiegend eingestuft werden und eine Punktzahl von 47,5 bis 70 erreicht wird. Noch gravierendere Einschränkungen fallen unter Pflegegrad 4, der bei Punktzahlen zwischen 70 und 90 angewendet wird und eine schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit beschreibt. Der höchste Pflegegrad ist der Pflegegrad 5. Er gilt für Personen, die schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufweisen und zusätzlich besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung benötigen. Dieser Pflegegrad wird ab einer Punktzahl von 90 bis maximal 100 vergeben.

Jeder der fünf Pflegegrade, die früher als Pflegestufen bezeichnet wurden, bietet Zugang zu geeigneten Pflegeleistungen.

Tipp:  Ein Pflegegradrechner ist ein praktisches Instrument, mit dem Sie vorab einen Eindruck erhalten können, welcher Pflegegrad infrage kommen könnte. Er bietet eine erste Orientierung, ersetzt jedoch nicht die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst oder Medicproof, sondern dient als Vorbereitungshilfe.

So beantragen Sie einen Pflegegrad bei psychischer Erkrankung

Antrag stellen: Wenden Sie sich an die Pflegekasse der betroffenen Person, um einen Antrag auf einen Pflegegrad zu stellen. Dies kann sowohl telefonisch, schriftlich oder online erfolgen.

Vorbereitung auf die Begutachtung: Sammeln Sie alle wichtigen Unterlagen, die den Pflegebedarf belegen, wie ärztliche Atteste, Diagnosen, Medikamentenpläne und Therapieberichte. Zusätzlich kann ein Pflegetagebuch eine gute Hilfe sein, um den tatsächlichen Unterstützungsbedarf im Alltag zu dokumentieren.

Begutachtungstermin: Ein Gutachter oder eine Gutachterin führt die Begutachtung durch, um den individuellen Pflegebedarf zu ermitteln. Dabei wird nach einem standardisierten Vorgehen bewertet, in welchem Ausmaß die psychische Erkrankung die Selbstständigkeit und den Alltag beeinflusst.

Bescheid abwarten: Nach der Begutachtung erhalten Sie einen schriftlichen Bescheid mit der Einstufung in einen Pflegegrad. Sollten Sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sein, haben Sie die Möglichkeit, innerhalb von vier Wochen Widerspruch einzulegen.
Depressionen können häufig zu einem erhöhten Pflegebedarf führen

Fazit: Pflegegrad bei psychischer Erkrankung

Ein Pflegegrad kann für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine wertvolle Unterstützung sein, da er finanzielle Entlastung bietet und durch verschiedene Leistungen den Alltag erleichtern kann. Voraussetzung für die Bewilligung ist jedoch, dass die Erkrankung die Selbstständigkeit deutlich beeinträchtigt und Hilfe im Alltag notwendig macht.

Der Weg zur Einstufung mag zunächst komplex wirken, doch mit einer guten Vorbereitung – etwa durch das Sammeln ärztlicher Unterlagen und das Führen eines Pflegetagebuchs – können die individuellen Beeinträchtigungen realistisch dargestellt werden. So steigen die Chancen auf eine faire Bewertung und den Zugang zu entsprechenden Leistungen. 

💜-liche Grüße 

Pflegegrad bei psychischen Erkrankungen: Häufig gestellte Fragen

Kann man bei Depressionen einen Pflegegrad beantragen?

Ja, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen können einen Pflegegrad begründen, wenn sie einen Unterstützungsbedarf bedingen und die Selbstständigkeit der betroffenen Person einschränken.

Wie wahrscheinlich ist es, bei einer psychischen Erkrankung Pflegegrad 3 zu erhalten?

Pflegegrad 3 kann bewilligt werden, wenn die betroffene Person erhebliche Einschränkungen der Selbstständigkeit hat und dauerhaft auf regelmäßige Unterstützung angewiesen ist.

Werden psychische Erkrankungen bei der Einstufung in Pflegegrade ausreichend berücksichtigt?

Seit der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade im Jahr 2017 wird der Pflegebedarf umfassender bewertet, sodass auch geistige und psychische Beeinträchtigungen in die Bewertung mit einfließen. Dies ermöglicht eine gerechtere Einstufung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, die zuvor im alten System der Pflegestufen oft nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Was tun, wenn der Pflegegrad abgelehnt wird?

Wenn der Antrag auf einen Pflegegrad abgelehnt wird oder Sie mit der Einstufung nicht einverstanden sind, können Sie innerhalb von vier Wochen Widerspruch einlegen. Überprüfen Sie die Begründung der Ablehnung und reichen Sie gegebenenfalls weitere Unterlagen sowie eine Begründung zum Widerspruch ein, die den Pflegebedarf deutlicher machen. 

Welchen Pflegegrad erhalten Menschen mit psychischen Erkrankungen?

Der Pflegegrad für Menschen mit psychischen Erkrankungen hängt vom Ausmaß der Einschränkungen der Selbstständigkeit und des Unterstützungsbedarfs ab. 
Zur Autorin

Isabell Jungesblut

EXAMINIERTE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGERIN
Als Expertin für Gesundheits- und Krankenpflege bringt Isabell Jungesblut umfangreiche Erfahrungen aus der Akutversorgung aber auch aus der vollstationären Langzeitversorgung mit. Hier im Pflege ABC teilt sie ihr umfangreiches Wissen mit Ihnen, um die Pflege für Sie zu erleichtern.
Bild-Quellen: Header: Foto von freepik; Bild 1: Graphik von Pflege ABC; Bild 2: Foto von Unsplash; Bild 3: Foto von Unsplash;

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