Pflegegrad bei Kindern: ADHS & Co. - Darauf sollten Sie achten

Isabell Jungesblut

Pflegegrad bei Kindern: ADHS & Co. - Darauf sollten Sie achten

Isabell Jungesblut
Das Thema “Pflegegrad bei Kindern” ist für viele Eltern und Angehörige ein sensibles und oft emotionales Anliegen. Wenn Sie ein Kind haben, das an ADHS, also an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung oder einer ähnlichen Erkrankung leidet, spüren Sie vermutlich täglich, wie viel zusätzliche Kraft und Aufmerksamkeit es braucht. ADHS geht mit Herausforderungen einher, die sich auf den gesamten Alltag auswirken: erhöhte Unruhe, impulsives Verhalten und Konzentrationsprobleme erfordern oft mehr Betreuung und Begleitung als bei anderen Kindern. Neben den normalen Bedürfnissen bringt das Leben mit einem Kind, das besondere Unterstützung benötigt, häufig Anforderungen mit sich, die weit über das Übliche hinausgehen. Ein Pflegegrad kann hier eine wertvolle Hilfe sein: Er erkennt den zusätzlichen Pflegebedarf an und bietet finanzielle sowie organisatorische Entlastung, die Ihnen als Familie Freiraum und Unterstützung gibt.

Info-Box ADHS:

Charakteristisch für ADHS sind folgende drei Hauptsymptome:
  • Hyperaktivität (übersteigerter Bewegungsdrang)
  • Unaufmerksamkeit (gestörte Konzentrationsfähigkeit)
  • Impulsivität (unüberlegtes Handeln)

Pflegegrad statt Pflegestufen – Wie ADHS und besondere Bedürfnisse gezielter unterstützt werden

Pflegegrad: Kind mit Konzentrationsstörungen
Früher wurde der Pflegebedarf in sogenannte Pflegestufen eingeteilt, die vor allem auf körperliche Einschränkungen ausgerichtet waren. Das bedeutete, dass vor allem die körperliche Pflegeleistung im Vordergrund stand, während kognitive oder psychische Beeinträchtigungen – wie sie etwa bei ADHS auftreten können – weniger berücksichtigt wurden. Für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, wie etwa bei einer Demenz oder einer ähnlichen kognitiven Erkrankung, gab es die Sonderregelung der Pflegestufe S (auch Pflegestufe 0 genannt), die es ermöglichte, trotz fehlender körperlicher Einschränkungen Zugang zu bestimmten Pflegeleistungen zu erhalten.

Um den Pflegebedarf umfassender und gerechter zu erfassen, wurden die Pflegestufen im Jahr 2017 durch die Pflegegrade ersetzt. Der große Vorteil der Pflegegrade ist, dass nun alle Facetten der Pflegebedürftigkeit einbezogen werden, einschließlich geistiger und psychischer Einschränkungen. Diese Änderung machte auch eine Pflegestufe S oder einen Pflegegrad S überflüssig. Besonders für Kinder mit ADHS, die oft nicht nur körperliche, sondern auch kognitive und emotionale Unterstützung benötigen, stellt diese Änderung einen wichtigen Fortschritt dar. So wird sichergestellt, dass der gesamte Unterstützungsbedarf eines Kindes erfasst wird und Sie und Ihre Familie eine gezielte und angemessene Unterstützung erhalten.

Sonderthema ADHS: Wann und warum kann ADHS einen Pflegegrad rechtfertigen?

Die Frage, ob ein Pflegegrad für ein Kind mit ADHS sinnvoll und gerechtfertigt ist, beschäftigt viele Eltern. 
Um einen Pflegegrad bewilligt zu bekommen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss eine Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI vorliegen. Pflegebedürftig im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die aufgrund gesundheitlich bedingter Beeinträchtigungen in ihrer Selbständigkeit oder ihren Fähigkeiten eingeschränkt sind und deshalb auf Hilfe durch andere angewiesen sind. Diese Definition umfasst neben körperlichen auch geistige und seelische Beeinträchtigungen, sodass grundsätzlich auch Kinder mit ADHS einen Pflegegrad erhalten können – vorausgesetzt, es besteht ein erheblicher Pflegebedarf, der voraussichtlich länger als sechs Monate andauert und sich nicht durch Therapie oder Rehabilitation pflegegradrelevant verbessern wird. Zusätzlich ist entscheidend, dass das versicherte Kind oder der versicherte Jugendliche in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens zwei Jahre entweder als Mitglied versichert oder familienversichert war.

​​Nun stellt sich aber für viele Eltern die Frage, wann ein Pflegegrad für ein Kind mit ADHS, aber auch einer anderen Erkrankung, sinnvoll ist. Ein Pflegegrad kann hilfreich sein, wenn die Symptome den Alltag erheblich beeinträchtigen und das Kind bei alltäglichen Aufgaben deutlich mehr Unterstützung als Gleichaltrige benötigt. Liegen körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigungen vor, die den Alltag ohne zusätzliche Hilfe stark erschweren, ist es ratsam, einen Pflegegrad zu beantragen, um gezielte Unterstützung zu erhalten, die den besonderen Bedarf des Kindes anerkennt.

Pflegegradrechner für Kinder: Erster Eindruck zum möglichen Pflegegrad

Ein Pflegegradrechner für Kinder kann eine hilfreiche Unterstützung sein, wenn Sie sich als Eltern oder Angehörige vorab einen Überblick verschaffen möchten, welcher Pflegegrad bei Ihrem Kind infrage kommt. Diese speziellen Rechner sind an die Bedürfnisse und Entwicklungsschritte von Kindern angepasst und berücksichtigen die besonderen Herausforderungen, die bei einer Einstufung im Kindesalter eine Rolle spielen. Durch die Beantwortung gezielter Fragen zu den täglichen Einschränkungen und dem Betreuungsbedarf erhalten Sie eine erste Orientierung, ob ein Antrag sinnvoll ist und können sich gleichzeitig auf die Begutachtung vorbereiten.

Pflegegrad bei Kindern – So erfolgt die Berechnung

Mädchen im Rollstuhl mit Pflegebedarf
Die Berechnung des Pflegegrades bei Kindern unterscheidet sich aufgrund der altersabhängigen Entwicklung von der Pflegegradbewertung bei Erwachsenen. Spezielle Regelungen gelten für Kinder in verschiedenen Altersgruppen, um den tatsächlichen Unterstützungsbedarf fair und realistisch abzubilden – besonders relevant ist dies bei Diagnosen wie ADHS, wo oft zusätzlicher Pflegebedarf im Alltag entsteht. 

Für Kinder bis 18 Monate gelten spezielle Regelungen, da in diesem Alter ausschließlich altersunabhängige Module (3 und 5) in die Beurteilung einbezogen werden, wie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, sowie der Umgang mit und die Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen. Anstelle von “Modul 4 Selbstversorgung” ist lediglich die Fragestellung: “Bestehen gravierende Probleme bei der Nahrungsaufnahme, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Bereich der Ernährung auslösen?” zu beantworten. Wird diese Frage mit “Ja” beantwortet, erhält das Kind 20 Punkte. Kinder bis 18 Monate werden ebenso automatisch einen Pflegegrad höher eingestuft.
Ab 19 Monaten bis zum 11. Lebensjahr erfolgt die Begutachtung umfassender mit allen sechs Modulen, allerdings angepasst an die altersgemäße Entwicklung. Nur in den Modulen für Verhaltensweisen und krankheitsbedingte Anforderungen wird kein Vergleich mit Gleichaltrigen vorgenommen, was bei Diagnosen wie ADHS den spezifischen Pflegebedarf fairer abbildet. 
Ab dem 11. Lebensjahr entspricht die Begutachtung zunehmend der Begutachtung von Erwachsenen, wobei altersgerechte Sprache und Besonderheiten berücksichtigt werden.
Diese abgestuften Regelungen ermöglichen eine realistische Erfassung des Pflegebedarfs in allen Altersgruppen. 

Der Weg zum Pflegegrad bei Kindern


1. Antrag stellen: Um den Pflegegrad für Ihr Kind zu beantragen, nehmen Sie zunächst Kontakt mit der Pflegekasse auf, bei der Ihr Kind versichert ist. Dies können Sie je nach Präferenz telefonisch, schriftlich oder online erledigen. Nach Ihrer Anfrage sendet Ihnen die Pflegekasse in der Regel einen Fragenkatalog zu. Es ist wichtig, diesen sorgfältig und vollständig auszufüllen, da hier bereits erste Angaben zum Pflegebedarf gemacht werden können. Einige Pflegekassen bieten inzwischen auch Online-Formulare an, die den Prozess zusätzlich erleichtern.

2. Begutachtungstermin vorbereiten:
Die Vorbereitung auf die Begutachtung ist ein entscheidender Schritt, um den Pflegebedarf Ihres Kindes umfassend darzustellen. Hierbei ist es wichtig, alle relevanten medizinischen Unterlagen bereitzuhalten, um dem Gutachter oder der Gutachterin einen vollständigen Einblick in den Gesundheitszustand und die bisherigen Behandlungen Ihres Kindes zu geben. Diese Dokumente ermöglichen eine präzise Einschätzung des Pflegebedarfs und helfen, die notwendige Unterstützung optimal zu planen.

Checkliste: Wichtige Dokumente für die Begutachtung

  • Aktuelle Berichte vom Hausarzt oder Facharzt
  • Entlassungsberichte von vergangenen Krankenhaus- oder Kuraufenthalten
  • Dokumentationen von therapeutischen Maßnahmen (z. B. Physio-, Ergo- oder Psychotherapie)
  • Nachweis über den Grad der Behinderung (GdB), falls vorhanden
  • Medikamentenliste inklusive Einnahmeplan (Medikationsplan)
  • Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung (sofern vorhanden)
  • Pflegedokumentation von externen Dienstleistern, wie z. B. einem ambulanten Pflegedienst (falls bereits involviert)
  • Nicht zu vergessen: Ihre eigene Pflegedokumentation in Form eines Pflegetagebuchs

3. Pflegegradrechner benutzen
- Erster Eindruck zum Pflegegrad: Ein Pflegegradrechner hilft Ihnen, den möglichen Pflegegrad vorab einzuschätzen. Durch spezielle Fragen - die sich je nach dem Alter Ihres Kindes etwas unterscheiden können - erhalten Sie eine erste Orientierung, welcher Pflegegrad für Ihr Kind in Frage kommen könnte – und können sich gleichzeitig auf die Begutachtung vorbereiten.

4. Begutachtung durchführen: Nachdem der Antrag bei der Pflegekasse eingegangen ist, beauftragt diese für gesetzlich Versicherte einen Gutachter des Medizinischen Dienstes (MD) und für Privatversicherte einen Gutachter von Medicproof, um eine Begutachtung durchzuführen. Der Gutachter besucht Sie und Ihr Kind zu Hause, um den Pflegebedarf anhand der Begutachtungsrichtlinie einzuschätzen. Es ist wichtig, dass Sie beim Termin anwesend sind, um dem Gutachter den täglichen Pflegeaufwand konkret darzustellen. Nutzen Sie dabei Beispiele aus dem Alltag, die zeigen, wie stark Ihr Kind auf Unterstützung angewiesen ist. Ihre Schilderungen und das Pflegetagebuch sind wertvolle Hilfsmittel, um den Betreuungsaufwand umfassend darzustellen und eine faire Einstufung zu ermöglichen.
Kleines Mädchen bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst
5. Bescheid abwarten: Nach der Begutachtung entscheidet die Pflegekasse auf Basis des Gutachtens über den Pflegegrad und informiert Sie schriftlich in einem Bescheid über das Ergebnis. Die Einstufung erfolgt in einen der fünf Pflegegrade, die seit der Pflegereform die früheren drei Pflegestufen abgelöst haben.
Falls die Voraussetzungen für die Einstufung in einen Pflegegrad für mindestens sechs Monate gegeben sind, jedoch zu erwarten ist, dass sich die Selbstständigkeit und Fähigkeiten Ihres Kindes durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen verbessern könnten, wird die Pflegekasse häufig eine befristete Leistungszusage erteilen. In diesem Fall nennt der Bescheid ein konkretes Datum, bis zu dem der Pflegegrad bewilligt ist. Zusätzlich kann eine Wiederholungsbegutachtung angesetzt werden, um die Entwicklung und den Betreuungsbedarf des Kindes erneut zu prüfen und die Einstufung bei Bedarf anzupassen.

6. Widerspruch einlegen (falls nötig): Falls Sie als Pflegeperson mit dem Bescheid für Ihr pflegebedürftiges Kind nicht einverstanden sind, weil wichtige Aspekte im Gutachten nicht berücksichtigt wurden, können Sie innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheids Widerspruch einlegen. Überprüfen Sie den Bescheid daher unbedingt sorgfältig.

Fazit: Pflegegrad für Kinder mit ADHS & Co.

Ein Pflegegrad kann für Familien von Kindern mit ADHS und ähnlichen Diagnosen eine wertvolle Unterstützung sein, da er den besonderen Betreuungsbedarf anerkennt und die Familie entlastet. Der Weg dorthin mag komplex wirken, doch mit einer sorgfältigen Vorbereitung und hilfreichen Hilfsmitteln wie dem Pflegetagebuch lässt sich der Prozess erfolgreich gestalten. Jeder Schritt, vom Antrag bis zur Begutachtung, trägt dazu bei, die passende Unterstützung für Ihr Kind zu erhalten. Lassen Sie sich ermutigen – mit dem Pflegegrad können Sie und Ihr Kind die notwendige Hilfe bekommen, um den Alltag gemeinsam gut zu bewältigen.

💜-liche Grüße 

Pflegegrad bei Kindern: Häufig gestellte Fragen

Wann ist ein Pflegegrad bei Kindern mit ADHS & Co sinnvoll?

Ein Pflegegrad kann hilfreich sein, wenn beispielsweise die ADHS-Symptome den Alltag stark beeinträchtigen und das Kind regelmäßig mehr Betreuung und Unterstützung als Gleichaltrige benötigt.

Wie kann man einen Pflegegrad für ADHS bei Kindern beantragen?

Der Pflegegrad kann direkt bei der Pflegekasse beantragt werden. Es empfiehlt sich, ärztliche Berichte und eine detaillierte Beschreibung des Betreuungsaufwands einzureichen.

Kann Pflegegrad 3 auch bei Kindern mit ADHS vergeben werden?

Pflegegrad 3 ist bei Kindern mit ADHS nur selten erreichbar, da dafür eine deutlich höhere Pflegebedürftigkeit erforderlich ist, als sie ADHS im Regelfall verursacht. 

Ist der Pflegegrad bei Kindern befristet oder dauerhaft?

Pflegegrade bei Kindern können befristet sein und müssen regelmäßig überprüft werden, da sich der Unterstützungsbedarf im Verlauf der kindlichen Entwicklung ändern kann.
Zur Autorin

Isabell Jungesblut

EXAMINIERTE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGERIN
Als Expertin für Gesundheits- und Krankenpflege bringt Isabell Jungesblut umfangreiche Erfahrungen aus der Akutversorgung aber auch aus der vollstationären Langzeitversorgung mit. Hier im Pflege ABC teilt sie ihr umfangreiches Wissen mit Ihnen, um die Pflege für Sie zu erleichtern.
Bild-Quellen: Header: Foto von Unsplash; Bild 1: Foto von freepik; Bild 2: Foto von freepik; Bild 3: Foto von Unsplash;

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